Ein Jahr russische Invasion in die Ukraine

Vor einem Jahr, wenige Tage vor der russischen Invasion, fand die Münchner Sicherheitskonferenz statt, und ich nahm an einer traditionellen Runde der bayerischen Grünen mit den grünen Konferenzteilnehmer*innen teil. Zehntausende russische Truppen hatten bereits mit ihren Panzern und Kampffahrzeugen ihre Kasernen verlassen und Angriffspositionen in Russland und Belarus entlang der Grenze zur Ukraine eingenommen. Russlands Diplomaten versicherten die Welt, dass es sich hier nur um friedliche Manöver handele. Mir war damals schon klar: Wir dürfen nicht nur von Freiheit und territorialer Souveränität der Ukraine sprechen, wir müssen diese auch materiell garantieren, die Ukraine also auch militärisch in die Lage versetzen, sich zu verteidigen. Damals bestanden allerletzte Restzweifel, heute wissen wir: Alles Gerede Russlands von friedlichen Manövern war nur Täuschung und Lüge. Am 24.2. folgte der Überfall und mittlerweile ein Jahr Zerstörung, Kriegsverbrechen und unzählige Tote.

Rund um den Jahrestag der Invasion und auch rund um die Sicherheitskonferenz 2023 halten wir inne und reflektieren: Wie geht es weiter in Kyjiw, Brüssel, Berlin und München? Was haben wir bis jetzt geleistet, wo müssen wir besser werden, was steht als nächstes an – und welche Aufgaben bleiben für Politik und Zivilgesellschaft noch unerledigt?

Echte Verhandlungsoptionen gibt es nur, wenn Putin merkt, dass er verliert.

Unsere grüner Auftakt zur MSC war eine Podiumsdiskussion mit MdEP Viola von Cramon, MdB Toni Hofreiter und Irina Solomenko vom Zentrum für Liberale Moderne. Ihre Berichte vom unermesslichen Leid und der Zerstörung in der Ukraine waren bedrückend. Aber auch beeindruckend, denn dieses kleine Land setzt sich dem Angriff des großen Russlands auf seine Freiheit und Demokratie bisher viel erfolgreicher zur Wehr, als viele das vor einem Jahr für möglich gehalten hatten. So fürchterlich es ist: Europa & Deutschland unterstützen bereits stark. Doch es müssen noch schneller und mehr Waffen und Munition liefern. Erst wenn Putin merkt, dass er verliert, öffnet sich die Möglichkeit für Verhandlungen, die den Ukrainer*innen echten Frieden geben und nicht den Aggressor und Menschenrechtsverletzer für dessen Verbrechen belohnen.

Der Überfall auf die Ukraine darf keine Schule machen. Eine Welt, in der sich der Stärkere durchsetzt, ist eine höchst unsichere Welt. Im schlimmsten Fall würden Staaten daraus lernen, dass sie sich nicht auf Sicherheitsgarantien verlassen können und nicht wie die Ukraine damals 1994 auf Atomwaffen verzichten dürfen. Der weltweiten Verbreitung von Atomwaffen wäre Tür und Tor geöffnet. Die Ukraine wird auf lange Sicht unsere Unterstützung brauchen: Auch wenn wir derzeit keine nützlichen Kampfflugzeuge bieten können, mittel- und langfristig muss die Ukraine als souveräner Staat ihren Luftraum verteidigen können. Es ist aber zynisch einzufordern, dass sie dazu auf alle Ewigkeiten ihre sowjetischen Flugzeug-Modelle nutzen soll – denn vom Angreifer Russland wird es keinen Ersatz geben. Die Ukraine ist längst politisch bei uns im Westen angekommen. Diese Realität sollten wir akzeptieren und entsprechend handeln. Die Ukraine braucht eine zügige Beitrittsperspektive mit spürbaren Integrationsschritten. Diesen entschlossenen Weg müssen wir auch dem Westbalkan öffnen.

Humanitäre Hilfe und Diplomatie spielten und spielen immer noch eine große Rolle

Wie unablässig unsere Außenministerin Annalena Baerbock vor der Invasion mit Verhandlungen eine kriegerische Eskalation zu verhindern versuchte, ist uns allen bekannt. Doch auch nach Kriegsausbruch gingen die diplomatischen Bemühungen weiter. Deutschland war stark in die Aushandlung des Getreideabkommens und in eine Deeskalation rund um das Atomkraftwerk Saporischschja involviert.

Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Diplomatie nicht nur mit Russland, sondern auch gegen Russland wichtig war und ist: Die überwältigende Mehrheit in der UN-Vollversammlung für eine Verurteilung der russischen Aggression gegen die Ukraine und die Verletzung der UN-Charta hat der Welt gezeigt, wie isoliert Russland ist und ein wichtiger Meilenstein für ein geeintes Vorgehen der Weltgemeinschaft gegen den Angriff auf die regelbasierte Welt- und Friedensordnung. Die scharfen Sanktionen der EU schwächen die russische Wirtschaft und dämmen die Belieferung mit Rüstungsgütern und kriegswichtigen Bauteilen stark ein. Übrigens engagiert sich Deutschland auch weiterhin besonders für die humanitäre Hilfe: Von den 12 Milliarden Euro, die bisher in die Ukraine geflossen sind, entfielen nur ca. 1,5 Milliarden Euro auf Waffen. Der andere, weitaus größere Teil wurde für humanitäre Hilfe genutzt, um die Schäden der Bombardements zu miniminieren und die Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser und Strom sowie die Gesundheitsversorgung sicherzustellen.

Die Oma aus Russland, der Opa aus der Ukraine

Diese Zeilen schreibe ich in ständigen Gedanken auch an das Leid, das dieser Krieg auch in vielen russischen Familien verursacht. Ich bin Enkel einer Russin und eines „russland“-deutschen Ukrainers. Dass hier mein eines Herkunftsland mein anderes Herkunftsland überfällt, zerreißt mein Herz, so wie Putins Angriffskrieg auch heute ukrainisch-russiche Familien und Freundesbande zerreißt. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass dieser Krieg schnellstmöglich sein Ende findet. Angesichts des Gegners Putin und seiner Ziele, der ethnischen Säuberung der Ukraine und der Wiederherstellung der Großmacht Russlands über die Ukraine hinaus, heißt der Weg zu einem schnellen Kriegsende klar und eindeutig: Wir müssen noch entschlossener die Ukraine unterstützen.